Lake-Nyos-Katastrophe (2024)

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Der Donnerstag ist für die Menschen in Nyos ein wichtiger Tag. Jeden Donnerstag ist Markt in dem Dorf im Westen Kameruns, Tausende strömen zusammen, um ihre Produkte zu verkaufen und anschließend den Abend mit Freunden zu verbringen.

Auch der 21. August 1986 ist ein Donnerstag. In Nyos herrscht geschäftiges Treiben, die Maisernte war ergiebig. Niemand bemerkt, dass nur drei Kilometer entfernt Merkwürdiges vor sich geht. Rinderbauern hatten vier Tage zuvor Blasen auf dem Lake Nyos entdeckt, dem See, dem das Dorf seinen Namen verdankt. Den Bauern war das Blubbern nicht geheuer gewesen, sie waren eilig in weiter entfernte Dörfer verschwunden, ohne von ihren Erlebnissen zu berichten.

Die Bewohner von Nyos sind deshalb ahnungslos, als der See gegen 20.30 Uhr am Donnerstagabend plötzlich anfängt zu brummen. Das Grollen hält zehn bis 20 Sekunden an, so beschreiben es später Augenzeugen. Andere wollen auch ein mächtiges Blubbern gehört haben. Die Menschen kommen aus ihren Hütten gerannt und starren in Richtung See. Sie sehen eine riesige Fontäne - und eine gigantische, weiße Wolke, die sich aus dem Lake Nyos erhebt.

Tausende tote Rinder

Das faszinierende Naturschauspiel an dem malerischen Kratersee hat schon Sekunden später grausame Folgen. Denn die Wolke, die der Wind mit 70 Kilometern pro Stunde in Richtung der anliegenden Dörfer treibt, besteht aus hochkonzentriertem Kohlendioxid. Das Gas ist schwerer als Luft und lässt den Menschen in der Umgebung des Sees keine Chance. Männer, die sich eben noch unterhalten haben, fallen bewusstlos um. Frauen spüren ihre Arme nicht mehr. Kinder hören in ihren Betten auf zu atmen. Vögel stürzen von den Bäumen.

Mehr als 1700 Menschen ersticken an diesem Donnerstag vor 25 Jahren innerhalb weniger Stunden. Tage später wird man noch im Umkreis von zehn Kilometern Leichen finden - und Tausende tote Rinder. Knapp 4000 Menschen überleben die Katastrophe, einige wachen erst nach 36 Stunden auf.

Das Drama vom Lake Nyos versetzt Kamerun in einen Schockzustand, die gespenstischen Bilder der verendeten Rinder gehen um die Welt. Erinnerungen werden wach an einen ganz ähnlichen Vorfall, das nur zwei Jahre zuvor ganz in der Nähe am Lake Monoun 37 Menschenleben gefordert hatte. Aber das hier hatte eine andere Dimension: Ganze Dörfer wie Nyos oder Cha oder Subum waren komplett ausgelöscht worden.

Wirr und benommen

Wissenschaftler aus der ganzen Welt reisen nach dem Unglück nach Kamerun. Sie alle treibt die Frage: Was war passiert und warum? Viele Anwohner in Nyos haben ihre Antwort da bereits gefunden. Überlebende des Unglücks machen den Fluch eines Stammesführers für die Katastrophe verantwortlich. 1983, auf seinem Totenbett, habe dieser angeordnet, sein bestes Rind dem Geist des Sees zu opfern. Doch seine Familie sei diesem Wunsch nicht nachgekommen - und der Stammesführer habe aus Verärgerung Unheil über die Umgebung gebracht.

Experten finden vor Ort zunächst sehr schnell eine irdische Erklärung, was genau den Tod in das fruchtbare Ackerland rund um den See gebracht hat. Die meisten Überlebenden berichteten von denselben Symptomen. Nach dem Ausbruch am See sei ihnen schwindelig geworden, viele spürten ihre Gliedmaßen nicht mehr, sie fühlten sich wirr und benommen, schließlich wurden sie ohnmächtig.

Ein Teufelskreis kommt in Gang

Ein kamerunischer Geologe stellt zudem schon kurz nach dem Unglück fest, dass sich der Wasserspiegel des Lake Nyos um einen Meter abgesenkt hat. Wissenschaftler beginnen zu rechnen und stellen fest: Das fehlende Volumen des 200 Meter tiefen Sees entspricht einem Gewicht von rund 1,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid.

Das CO2, das aus vulkanischem Gestein am Seegrund entweicht und sich im Wasser anreichert, musste sich über einen Jahrhunderte gesammelt haben. Warum es so lange nicht entwich, führen Experten auf die durchgängig warmen Temperaturen in der Gegend um den Lake Nyos zurück. Diese hatten die oberen Wasserschichten warm und das Gas in den kühleren, tieferen Regionen gehalten wie ein Korken. Etwas aber hatte den Korken entfernt - und das tödliche Gas explosionsartig an die Oberfläche katapultiert.

Aber was?

Es ist diese Frage, mit der sich Wissenschaftler seit dem Sommer 1986 beschäftigen. Eine Gruppe von Experten ist immer noch sicher, dass das Gas durch eine unterirdische vulkanische Eruption nach oben gedrückt wurde. Der Großteil der Geologen geht jedoch davon aus, dass ein Erdrutsch die wärmeren Wasserschichten durcheinanderwirbelte und so einen Teufelskreis auslöste: Das tiefere Wasser konnte aufsteigen, und das gebundene Kohlendioxid wurde durch den Druckabfall frei. In Blasen bahnte es sich den Weg nach oben, riss immer mehr Wasser mit sich - das schließlich an der Oberfläche in einer Fontäne explodierte und das Kohlendioxid als Wolke freigab.

Das nächste Horrorszenario

So mysteriös die Ursache der Explosion bleibt, so gespenstisch wirkt die Verzögerung, mit der die Welt von dem Unglück erfuhr. Die Zeitschrift "Natural Scientist" schrieb 1987 über einen Motorradfahrer, der aus dem 30 Kilometer entfernten Wum einen Tag nach dem Drama im Morgengrauen in Richtung Cha fuhr, einem Dorf, in dem die Wolke Hunderte getötet hatte. Am Wegesrand sah der Biker plötzlich tote Tiere und eine Leiche liegen, dann verlor er das Bewusstsein. Drei Stunden später wachte er auf und berichtete den Menschen nach seiner Rückkehr, was er gesehen hatte. Erst einen weiteren Tag später traf medizinische Hilfe im Katastrophengebiet ein: ein katholischer Priester und zwei Hubschrauber.

Der Lake Nyos galt fortan als "Killersee", die Regierung evakuierte die betroffenen Dörfer und ließ sogar die Häuser der ehemaligen Bewohner abreißen. Niemand sollte auf die Idee kommen, in das Gebiet zurückzukehren. Doch der Reiz des fruchtbaren Ackerlandes südlich des Sees war stärker als die Abschreckung durch das Unglück oder Verbote der Behörden: Rinder wurden wieder über die Weiden getrieben, und Maisfelder wuchsen am Ufer. Sogar Barsche wurden in den neunziger Jahren in den vorher fischlosen See gesetzt. Schon 2001 hatte sich am Grund des Lake Nyos aber wieder die doppelte Menge an Kohlendioxid gesammelt, die 1986 ausgebrochen war.

Eine kontrollierte Entgasung soll dem See seit 2001 die Gefährlichkeit nehmen. Doch von den nötigen fünf Rohren, durch die das Kohlendioxid innerhalb von ein paar Jahren kontrolliert entweichen sollte, ist erst eine in Betrieb. Dabei ist eigentlich Eile geboten. Denn seit niederländische Experten den See im Auftrag der Uno untersuchten, gibt es ein Szenario, das noch bedrohlicher ist als der neuerliche Ausbruch einer Gaswolke.

Ein natürlicher Damm aus Vulkanstein im Norden des Sees ist vom Einsturz bedroht. Bricht der Damm, könnten die Wassermassen des hochgelegenen Lake Nyos ein Gebiet bis zur 60 Kilometer entfernten nigerianischen Grenze überfluten und Tausende Menschen töten.

Lake-Nyos-Katastrophe (2024)

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Author: Tyson Zemlak

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